Aktivitätstracker im Alltag: Charakteristika von Motivation und User Diversity zur Erklärung individueller Nutzungstrajektorien [Dissertation, Technische Universität Chemnitz]

Allgemeines

Art der Publikation: Miscellaneous

Jahr: 2023

Autoren

Christiane Attig

Zusammenfassung

Die fortlaufend stärkere Durchdringung unseres Alltags mit digitalen Technologien wird besonders deutlich durch tragbare Geräte wie Smartphones, auf die jederzeit zugegriffen werden kann. Noch einen Schritt weiter gehen körpernah getragene, vernetzte Self-Tracking-Systeme wie Aktivitätstracker, welche kontinuierlich Bewegungsdaten und physiologische Parameter erfassen, algorithmisch aufbereiten und an die Nutzer*innen als quantifiziertes Feedback, oft zur Verhaltensmodifikation, zurückmelden. Diese spezifische Form der Interaktion zwischen Mensch und Technologie – körpernah, kontinuierlich, quantifiziert, vernetzt und persuasiv – ist für die Ingenieurpsychologie besonders relevant, da sie eine sehr enge Verbindung von Körper und Technik erfordert und spezifische Herausforderungen für die Stärkung der Selbstbestimmung ihrer Nutzer*innen bereithält. Einerseits dienen Aktivitätstracker der erleichterten Selbstreflexion durch Sichtbarmachung von Zusammenhängen, die zuvor verborgen blieben, wie etwa zwischen sportlicher Aktivität und Ruheherzfrequenz. Andererseits sollen Aktivitätstracker die Motivation für körperliche Verhaltensänderungen steigern. Die Nutzung von Aktivitätstrackern bewegt sich also potenziell in einem Spannungsfeld zwischen der Steigerung von Selbstbestimmung durch erweitertes Wissen sowie Aufzeigen von Handlungsoptionen und der Einschränkung der Selbstbestimmung durch persuasive Strategien zur Motivationssteigerung. Dieses Spannungsfeld bedingt neue Ansätze zur Beziehungsgestaltung zwischen Mensch und Trackingsystem. In der empirischen Forschung zur Nutzung von Aktivitätstrackern wird häufig darauf hingewiesen, dass ein Großteil der Nutzenden nach wenigen Wochen oder Monaten den kontinuierlichen Gebrauch beendet. Dieser Befund deutet daraufhin, dass Barrieren existieren, die die Langzeitnutzung unwahrscheinlicher machen. Des Weiteren wird immer wieder über negative Effekte der Trackernutzung berichtet, beispielsweise Stress. Allerdings ist auch bekannt, dass zahlreiche andere Personen ihr Trackingsystem über Jahre hinweg intensiv und erfolgreich gebrauchen. Es lässt sich also in Bezug auf die Nutzungstrajektorien eine bedeutsame Varianz feststellen, die es zu erklären gilt, um Self-Tracking-Anwendungen für diverse Nutzende gewinnbringend zu gestalten. Um diesem Vorhaben gerecht zu werden, ist es unabdingbar zu verstehen, welche individuellen Differenzen in der Gruppe der Nutzer*innen die Interaktion mit dem Aktivitätstracker, insbesondere in Bezug auf motivationale Aspekte, prägen. Dieser Herausforderung stellt sich die vorliegende Dissertation und greift dazu auf etablierte Theorien und Konzepte der Persönlichkeits- und Sozialpsychologie zurück. Da der theoriegeleitete Einbezug von Personenmerkmalen in die ingenieurpsychologische Forschung noch wenig vorangetrieben war, bestand zu Beginn des Promotionsvorhabens die Notwendigkeit, ein Konstrukt zu konzeptualisieren, welches zum einen auf einem stabilen psychologischen Theoriefundament steht und zum anderen spezifisch auf den Kontext der Mensch-Technik-Interaktion zugeschnitten ist. Im Rahmen der vorliegenden Dissertation wurde aus diesem Grund an der Herleitung der interaktionsbezogenen Technikaffinität (ATI) als kontextspezifische Variante der Denkfreude und ihrer Messbarmachung gearbei-tet. Insgesamt umfassten die Datenerhebungen zur Bestimmung der Gütekriterien der ATI-Skala fünf Datensätze mit über 1500 Teilnehmenden. Das Resultat der Skalenentwicklung ist ein unidimensionales, ökonomisches, reliables und valides Erhebungsinstrument der interaktionsbezogenen Technikaffinität (Artikel 1). Als relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal, das die Motivation zur Auseinandersetzung mit Technik grundlegend beeinflusst, wurde ATI in die folgenden Studien zur Interaktion zwischen Mensch und Aktivitätstracker miteinbezogen. Um die alltägliche, individuelle Mensch-Tracker-Interaktion umfassend zu verstehen und erklären zu können, wie es zu den unterschiedlichen Nutzungsverläufen kommt, müssen verschiedene Phasen der Nutzung untersucht werden. Zunächst ist zu klären, welche Motivatoren Menschen eigentlich dazu veranlassen, mit der Trackernutzung zu beginnen. Weiterhin ist die Nutzungsphase selbst zu beleuchten, um zu beschreiben, wie sich die oben beschriebene, spezifische Form der Trackerinteraktion auf die Nutzungserfahrung und anhaltende Motivation auswirkt und wie sich negative Nutzungskonsequenzen bemerkbar machen. Schließlich sind zum Verständnis der Nutzungstrajektorien die Gründe für den Abbruch zu berücksichtigen, sodass auch die Phase nach der Nutzung relevant ist. Da sich diese Dissertation dezidiert damit beschäftigt, wie sich die Interaktion mit Aktivitätstrackern im Alltag gestaltet, ist die Untersuchung der Nutzung in Stichproben von tatsächlichen bzw. ehemaligen Aktivitätstracker-Nutzer*innen angezeigt. Aus diesem Grund wurden zwei Online-Erhebungen durchgeführt, um ebendiese Stichproben zu erreichen. Das Ziel der ersten Studie (N = 210) war die quantitative Analyse von Nutzungsmotivationen sowie unintendierten, negativen Effekten der Trackernutzung im Alltagsgebrauch. Es zeigte sich, dass das Tracken sowohl zum Selbstzweck (intrinsische Motivation) als auch zur Erreichung eines externen Ziels (extrinsische Motivation) durchgeführt wird und diese Motivationstypen oft gleichzeitig auftreten. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass negative Effekte in Form von Motivationsverlusten in Bezug auf die Trackernutzung und die körperliche Aktivität eine Rolle im Alltag vieler Nutzer*innen spielen. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens dieser Effekte wird teilweise von Personenmerkmalen wie ATI und der Nutzungsmotivation bestimmt (Artikel 2). Die zweite Studie nahm ehemalige Nutzer*innen (N = 159) in den Blick und fokussierte auf die Erfassung der Gründe für den Nutzungsabbruch sowie die Stabilität der Abbruchentscheidung. Die Ergebnisse machten deutlich, dass zahlreiche Nutzungsbarrieren für die Entscheidung, den Tracker abzulegen, ausschlaggebend sind. Außerdem sind die Abbruchentscheidungen oft nicht permanent, was auf eine episodische Trackernutzung hindeutet (Artikel 3). Schließlich wurden wiederum Personenmerkmale und außerdem Interaktionscharakteristika in Betracht gezogen, um die große Varianz hinsichtlich Abbruchgründen und -permanenz zu erklären. Die Analysen offenbarten unter anderem, dass eine episodische Nutzung (d. h. nicht endgültige Beendigung) wahrscheinlicher ist, wenn sich die Nutzungsmotivation durch einen hohen Grad an Selbstbestimmung auszeichnet (Artikel 4). Abschließend betonen die Befunde der Dissertation die zentrale Rolle der wahrgenommenen Selbstbestimmung im Kontext der Mensch-Tracker-Interaktion und geben Anlass für Designrichtlinien, die die Beziehung zwischen Trackingsystem und Nutzer*in mit all ihren gegenseitigen Abhängigkeiten und individuellen Merkmalen berücksichtigen, um so die Selbstbestimmung zu erhalten oder sogar durch vertieftes Selbstwissen zu stärken.

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